“Die Zukunft ist gerade nicht zu sehen” – Bauakademie-Symposium in Berlin

Ein Gastbeitrag von Antje Bruno

“Die Zukunft ist gerade nicht zu sehen”1 könnte das Fazit zum Bauakademie-Symposium am 10. Februar 2023 in der Berliner Bertelsmann-Repräsentanz lauten. In der Veranstaltung wurden vielfältige Haltungen der Referent*innen zum Umgang mit dem verlorenen Bauerbe der Schinkelschen Bauakademie und der Leerstelle in der historischen Stadtmitte gegenüber dem Schlossnachbau geäußert.

Im Hintergrund standen Fragen nach der architektur- und kunstgeschichtlichen Bedeutung der 1836 von Karl Friedrich Schinkel errichteten Bauakademie und deren heutigem Verständnis – auch bezüglich der Anforderungen an das Bauen im 21. Jahrhundert und die Frage, woran denn in Schinkels Namen angeschlossen werden soll und was am Schinkelplatz entstehen soll.

Ist es der physische Bau als originalgetreue historische Rekonstruktion mit dem an einen der bedeutendsten deutschen Architekten erinnert werden soll? Oder geht es eher um den “Geist Schinkels” – seine Innovationskraft, an die im Sinne der anstehenden Aufgaben der Bundesstiftung Bauakademie ein Demonstrationsprojekt für die Zukunft des Bauens angeschlossen werden könnte?

Seit mehr als 30 Jahren fordern verschiedenste Akteure die “Wiedererrichtung” der 1962 abgerissenen Bauakademie von Karl Friedrich Schinkel. Im gemeinsamen Ausschuss Bund-Berlin erfolgte 1995 der politische Beschluss dafür, 2016 gab der Bund die Mittel dafür frei. Waren es in der Vergangenheit vor allem die Positionen pro und contra im Hinblick auf eine originalgetreue Rekonstruktion, die den Diskurs bestimmt haben, ist in letzter Zeit eine erneute Dynamisierung der Debatten zu verzeichnen2.

Denn die Bundesstiftung Bauakademie strebt ein Gebäude mit Programmatik und Kohärenz an: “Die Bundesstiftung Bauakademie ist als Bauherrin und Nutzerin der Bauakademie einer ganzheitlichen, nachhaltigen Planung und Bauweise verpflichtet. Im Sinne Schinkels wird diese Zukunftsgewandtheit am neuen Gebäude der Bauakademie auch ablesbar sein.”

“Ergebnisse und Prozess entgleiten zur Zeit wie ein nasser Fisch”

So resümierte Dr. Hans-Dieter Nägelke (Leiter des Architekturmuseums der TU Berlin und Beauftragter der Präsidentin der TU für die Neue Bauakademie), der in seinem Impuls “Eine kurze Geschichte einer langen Debatte” die Diskursgeschichte des projektierten Schinkelneubaus seit der deutschen Wiedervereinigung in groben Zügen referierte.

Dabei betonte Nägelke die Robustheit des Bauwerks und die Flexibilität der Grundrissgestaltung während der Nutzungsgeschichte. Es handele sich um eine in die Zukunft weisende Angelegenheit – die DNA der Institution Bauakademie müsse in die neue Institution überführt werden. Er sehe die Bauakademie als ein “gebautes Manifest in einer disruptiven Zeitenwende”. Die Bauakademie als Katalysator der Transformation in Bauwesen und Stadtentwicklung – nachhaltig, ganzheitlich, innovativ.

Der Architekturwettbewerb für den Neubau der Bundesstiftung Bauakademie findet 2023 statt (Foto © Bundesstiftung Bauakademie / Noshe)
Der Architekturwettbewerb für den Neubau der Bundesstiftung Bauakademie soll 2023 stattfinden (Foto © Bundesstiftung Bauakademie / Noshe)

Achim Wollschläger (Beauftragter Bau bei der Bundesstiftung Bauakademie) verwies auf die Ausgangslage, mit der die Stiftung konfrontiert ist. Der Planungs- und Bausektor stehe im Hinblick auf die Klimaziele unter sehr hohem Transformationsdruck und gleichzeitig sei die Wertschöpfungskette stark fragmentiert und wenig innovativ. Nachhaltigkeitsinnovationen in Prozess, Produkt und Betrieb seien notwendig.

Karl Friedrich Schinkel stehe als Ausgangs- und Bezugspunkt für Innovationen im Kontext der Zeit, die Bauakademie werde als “positiv besetzter Ort im Herzen Berlins” gesehen. Die Bundesstiftung will kluge Köpfe für interdisziplinäre Arbeitsformate zusammenbringen, der Stiftungsauftrag sehe keine reine Baustiftung vor, so Wollschläger.

Abgeleitet davon ergäben sich die Ziele und Werte der Stiftung: Die Verbreitung von nachhaltigen Innovationen, Wissen für die gesamte Wertschöpfungskette des Bauwesens zugänglich machen, Vernetzung von Akteur*innen, Förderung nachhaltigkeitsorientierter Bildung und Begeisterung für zukunftsorientiertes Bauen für die jungen Generationen. Dabei pflege die Institution einen “respektvollen Umgang mit den historischen Wurzeln der Bauakademie und verdeutliche deren Bedeutung für die Zukunft des Bauens.”

Vier inhaltliche Themenschwerpunkte stehen auf der Agenda der Bundesstiftung

Mit Kooperationspartnern will die Stiftung eine Plattform zur Stärkung der gesellschaftlichen, technischen und kulturellen Innovationskraft des Bauens bilden, die Förderung von Bildung, Wissenschaft und Forschung sowie Kunst und Kultur auf den Gebieten des Bauwesens, der Stadtentwicklung, des Wohnens und der Baukultur vorantreiben sowie die Schaffung einer zentralen “Dialogplattform auf nationaler Ebene mit internationaler Ausstrahlung” – als “Ort der Reflexion, Produktion und Präsentation ein Abbild der Vielfalt und Visionen des Bauwesens, der Stadtentwicklung, des Wohnens und der Baukultur” realisieren.

Das 1,5° Ziel des Bundes sei bindend für den Neubau, ebenso der Bebauungsplan I-208 und der Programmwettbewerb von 2018, führte Wollschläger aus.

Vorgesehen ist ein Reallaborprozess

Die Vision für das Gebäude, das als Katalysator der Transformation in Bauwesen und Stadtentwicklung fungieren soll, sieht für die Planung und Realisierung der Bauakademie ein Reallabor vor, “welches eine räumlich-bauliche Demonstration der Ziele und Werte der Bundesstiftung Bauakademie erlaubt”, erläuterte Wollschläger. Kein Museum, sondern eine Plattform mit vielfältigen Anforderungen, ein konsequent offenes Haus mit Vernetzung im Stadtraum und Vorbildfunktion im Hinblick auf den Anspruch an zirkuläres Bauen.

Werkstattcharakter, Wandelbarkeit und Nutzungsflexibilität gelten als Voraussetzungen für die Kernnutzungen: Diskutieren/ Treffen, Ausstellen, Experimentieren, Wissensvermittlung und konzertiertes Arbeiten / Reflektieren. Ergänzt werden sollen sie durch Nutzungseinheiten für Verwaltung und Betrieb, Retail und Gastro sowie weiteren Add-ons.

Abschließend betonte Wollschläger das Prozesshafte im Vorgehen der Stiftung. Nach den Bürgerwerkstätten und der Arbeit mit dem Think Tank Wettbewerb laufen derzeit Abstimmungen auf Bezirks,- und Senatsebene und der Architektenkammer. Es gebe noch kein konkretes Datum für den Wettbewerb, die Grundlagen müssten fundiert erarbeitet werden.

“Tradition und Erneuerung waren für Schinkel keine Widersprüche”

Prof. Dr. Fritz Neumeyer (ehm. Fachgebiet für Architekturtheorie der TU Berlin) fokussierte in seinem Vortrag “Karl Friedrich Schinkel. A universal man” auf den Topos des genialen Architekten und bezeichnete sein Werk wegen der produktiven Fülle und Wirkmächtigkeit als “europäisches Phänomen”.

Als zeitlebens “Suchender und Findender” erforschte Schinkel die konstruktiven Neuerungen der Zeit und deren Möglichkeiten, experimentierte mit neuen Materialien und lotete den “Spielraum des Möglichen” aus, referierte Neumeyer. Die ganze Palette der Architektur sei sein Arbeitsspektrum gewesen – die städtebauliche und architektonische Modernisierung Berlins sein Ziel, besonders die architektonische Neuordnung der historischen Stadtmitte, für die Schinkel 1826 mit dem Alten Museum den Schlüsselbau schuf. Als Architekt sei er in der Geschichte verwurzelt und offen für das Neue gewesen, auch als Konsequenz aus den Möglichkeiten des industrialisierten Bauens, die er in Manchester vorfand.

“Tradition und Erneuerung waren für Schinkel aber keine Widersprüche”, führte Neumeyer aus, aber “das barocke Berlin rief seinen Widerwillen hervor”. Schinkel stehe für Fortschritt auf der Basis von kultureller Verantwortung, die sei Bauakademie ein Manifest für sein Verständnis von Baukunst und mit Blick auf die feudale Umgebung die Verkörperung einer neuen Architekturauffassung.
Abschließend äußerte Neumeyer Kritik daran, der Wettbewerbsjury die Entscheidung für einen “Wiederaufbau der Bauakademie mit Bescheidenheitsmaxime” zu überlassen – Schinkel sozusagen auf ein “architektonisches Existenzminimum zu reduzieren”.

Die historische Stadtmitte Berlins wird ein Zukunftsort

Ephraim Gothe (Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung und Facility Management im Bezirksamt Mitte von Berlin) präsentierte die Planungen für die Berliner Mitte mit 30 neuen Projekten rund um die Bauakademie als Zukunftsort. Gothe verwies auf die Leitthemen im aktuellen Stadtentwicklungs-Diskus: Energiewende, Klimaanpassung, Mobilitätswende, leistbarer Wohnungsbau, Nutzung grauer Energie statt Abriss und Neubau, Gemeinwohlorientierung sowie soziale und kulturelle Infrastruktur.

Diese Themen in den Projekten zu bearbeiten erfordere “Fortschrittsgeist”. Auch der Neubau der Bauakademie müsse “im Geiste Schinkels” erfolgen – das in früheren Debatten vor allem von politischer Seite ausgegebene Motto.

“Es geht nicht um irgendeinen Schinkel-Popanz des 21. Jahrhunderts “

Prof. Dr. Peter Stephan (Architekturtheorie und Geschichte der Architekturtheorie, Fachhochschule Potsdam) zielte mit seinem Vortrag “Im Geiste Schinkels. Die Bauakademie als Inkunabel der Moderne” erklärtermaßen darauf ab, die Argumentationskette der Rekonstruktionsgegner zu widerlegen. Schinkels Geist werde “als Folie missbraucht”, wenn man sein historisches Vermächtnis dem Zeitgeist anpassen wolle. In fünf Thesen führte Stephan aus, was unter Schinkels Geist und dessen Verständnis von Moderne zu verstehen sei:

Erstens sei der “Geist Schinkels” ein wichtiges Stichwort, jedoch nicht identisch mit dem, was viele unter dem “Schinkel des 21. Jahrhunderts” subsumierten. Zweitens sei die Bauakademie zwar eine “Inkunabel der Moderne” – aber nicht so, wie gemeinhin angenommen werde.

Denn drittens, verstand Schinkel unter “Moderne” etwas ganz Anderes als das 20. und 21. Jahrhundert – die Bauakademie sei eine Inkunabel der evolutionären, nicht der revolutionären Moderne. Und viertens begriff Schinkel das Erschaffen von Neuem nicht als eine völlige Abkehr vom Alten.

Stephan zufolge war Schinkel kein “Anhänger des Bruchs der Hermeneutik”, Tradition galt ihm als Ressource für Innovation. Sein Ansinnen sei gewesen, bestehende Strukturen aufzugreifen und weiterzuführen, dem Stadtraum Neues hinzuzufügen ohne das Vorhandene auszuradieren. Fünftens, resümierte Stephan, sei die Rekonstruktion der Bauakademie sehr wohl mit seinem Geist vereinbar – sie bringe ihn sogar wieder und bewahre ihn erlebbar.

Es gehe dabei um “Werk-Gerechtigkeit” und nicht um irgendeinen “Schinkel-Popanz des 21. Jahrhunderts” oder ein “ahistorisches Hybrid”. Für den Neubau der Bauakademie gebe es nur zwei Wege: einen völligen Verzicht auf Schinkels Bau oder die Würdigung seines Bauerbes.

“Dem Bauen der Zukunft einen Ort geben”

Julia Dahlhaus (Architektin und Vorsitzende des BDA Berlin) sprach sich in ihrem Vortrag “Für die Baukultur – wider den Kleinmut” dafür aus, mit der Bauakademie dem Bauen der Zukunft einen Ort zu geben. Sie kritisierte die Vorgehensweise der Senatsverwaltung, die eine Gestaltungsverordnung für die Bauakademie auf den Weg gebracht hatte, noch bevor der Think Tank Wettbewerb seine Arbeit beendet hatte. Die Verordnung stünde im Widerspruch zur Aufgabe.

Eine bloße Rekonstruktion der Fassaden käme einer Banalisierung von Schinkel gleich – denn Fassaden seien Ausdruck der inneren Gebäudestruktur. Das sei, im Sinne der Nachhaltigkeit, auf die Gegenwart zu übertragen.

Als konzeptionelles Vorbild für ein entwurfliches Vorgehen nannte sie die Neuen Meisterhäuser des Büros Bruno Fioretti Marquez. Als Negativbeispiel führte auch Frau Dahlhaus das benachbarte Schloss an, bei dem es keine Kohärenz von Fassade und Inhalt gebe, dazu ein Ausstellungskonzept mit fragwürdigem Inhalt. Sie bilanzierte, die Wiederherstellung der Identität der historischen Mitte sei nicht geglückt. Für die Wettbewerbsausschreibung forderte sie geklärte Zielsetzungen und im Sinne der Baukunst “keine eierlegende Wollmilchsau”.

“Wie wenig ist genug? Wie viele Bedürfnisse muss die Bauakademie eigentlich erfüllen?”

Prof. Elisabeth Endres (Leiterin des Instituts für Bauklimatik und Energie der Architektur, TU Braunschweig) eröffnete ihren Vortrag mit dem Titel “Energie- und Ressourceneffizienz – Herausforderung oder Chance für die Baukultur” mit einem Zitat von Luigi Snozzi: “Architektur entsteht aus wahren Bedürfnissen, sie geht aber weiter als diese: Willst du sie entdecken, betrachte die Ruinen.”

Vor dem Hintergrund der Notwendigkeit des klimaangepassten Bauens und mit Fokus auf die Zielkonflikte und Komplexität der bautechnischen Anforderungen kritisierte sie die “Übertechnisierung” der Gebäude: “Warum bauen wir so viel Technik ein?…Wir denken, das zu brauchen!”.

Frau Endres verwies auf den schwierigen Abwägungsprozess bei der Auswahl unterschiedlicher Materialien in Bezug auf deren Haltbarkeit, Energieverbrauch, Reparaturfähigkeit und Treibhausgasemissionen. In der Gesamtbetrachtung und in diesem Spannungsfeld entstehe Architektur. Als Beispiel für einen transformativen Ansatz bzw. ein Bürogebäude mit nachhaltigem Gebäudekonzept verwies Endres auf einen 2021 fertiggestellten Bau von Steidle Architekten im Hamburger Elbbrückenquartier.

Oft entstehe Transformation aber auch aus einem Mangel heraus, wie der Wiederaufbau der teilzerstörten Alten Pinakothek in München (Leo Klenze 1836) durch Hans Döllgast 1957. Mit Blick auf den anstehenden Neubau der Schinkelschen Bauschule stellte sie abschließend die Frage: “Wie wenig ist eigentlich genug? Wie viele Bedürfnisse muss die Bauakademie eigentlich erfüllen?”

“Die Bauakademie als Reallabor des zukünftigen Bauens”

Prof. Eike Roswag-Klinge (Leiter Natural Building Lab, TU Berlin) ist Initiator des offenen Briefes Think-Tank Berliner Bauakademie an Bundesministerin Geywitz.

Auf die Satzung der Bundesstiftung Bauakademie verweisend, hatten die Unterzeichner des Briefes gefordert, das Gebäude solle ein “Demonstrationsprojekt für Nachhaltigkeit und Zukunftsorientiertheit in Bauwesen und Stadtentwicklung werden, an die Innovationskraft Schinkels anknüpfen und auf Schinkels Fundamenten ein Gebäude (wieder-)errichten, das innovativ nach Lösungen in Zeiten der Klima- und Ressourcenkrise sucht”.

Ob es lediglich um die nachgebaute Kopie eines unwiederbringlich verlorenen Originals gehe oder um die Wiederrichtung der Bauakademie als eine richtungweisende Institution in ihrer Zeit, war die zentrale Frage im Brief an die Bundesministerin.

Umweltbundesamt: Wir müssen aus allen Denkmodellen aussteigen

Auf Basis seiner Forschung im Natural Building Lab der TU stellte Roswag-Klinge in seinem Vortrag “Die Bauakademie als Reallabor des zukünftigen Bauens” die kaum zu überwindende Diskrepanz zwischen der Erfordernis einer sofortigen Wende zum klimagerechten Bauen und der aktuellen Baupraxis dar. Die planetaren Grenzen entsprechend müssten wir 2030 bereits klimagerecht bauen.

Laut Umweltbundesamt müssten wir aus allen Denkmodellen aussteigen, wenn wir die erforderliche Einsparung von 60% Rohstoffen einhalten wollten. Um das zu erreichen, müssen Forst- und Landwirtschaft mit Bauen gekoppelt werden und eine Kreislaufwirtschaft etabliert werden, die alle Bereiche des Lebens einschließt. Europa sei weitestgehend gebaut, der Neubau müsse gestoppt und der Bestand transformiert werden. Und zwar mit LowTech und robustem Bauen, mahnte Roswag-Klinge – die Lebenszykluskosten müssten betrachtet werden.

Die Erstellung von Low Tech-Gebäuden sei zwar teuer, aber über den gesamten Lebenszyklus im Vergleich zu konventioneller Bauweise deutlich billiger. Zum Beispiel das im Rahmen des Konzeptverfahrens Schöneberger Linse entstandene Neue Gründerhaus in der Berliner Gotenstraße entspräche diesen Anforderungen – mit Holzkern,- (Aufzug) und Holzskelett sowie einer klimaaktiven Gebäudehülle.

Sein zusammenfassendes Resümee lautete: “Um in planetaren Grenzen zu bauen, muss das Bauwesen in den 20er und 30er Jahren des 21. Jahrhunderts transformiert werden:

  • Lenkung aller Aktivitäten auf den Bestand und dessen Transformation
  • Siedlungsräume gemeinwesenorientiert umbauen und begrünen
  • Wohn,- (und Nutzflächen)- Reduktion von 50 auf 40 qm/ Person in Deutschland
  • Nachwachsende, kreislaufgerechte Ressourcen (weiter-)nutzen
  • Umweltfolgewirkungen verpreisen; Ressourcensteuer auch für Abbruch und Rückbau
  • Reallabor Bauen stärker fördern – Experimentierraum für Sprunginnovationen (10% Innovationsanteil)
  • Transdisziplinäre Planungs- und Baukultur etablieren – Wandel mit der Gesellschaft

“Die Bauakademie als Musterbau”

Dr. Ing. Christian Müller (Geschäftsführender Gesellschafter Ingenieurbüro für Tragwerksplanung cmib) forderte in seinem Impuls “Die Bauakademie als Musterbau” ein Ende der seit Jahrzehnten andauernden “ideologischen Diskussionen”. Eine originalgetreue und vollständige Rekonstruktion des Schinkelbaus sei kein ingenieurstechnisches Problem, erläuterte Müller.

Zudem habe Schinkel die Bauakademie als ausgesprochen wirtschaftlichen Bau, unverputzt und mit schlanken Dimensionierung konzipiert, “nachhaltiger geht nicht!”, erläuterte er in seinem Statement. Es gäbe sogar genügend Ziegelsteine zur Wiederverwendung, die massiven Ziegelaußenwände könnten mit Geothermie beheizt werden.

Aber es seien Zweifel in Hinblick auf Abbruch- und Neubauprozesse an diesem Ort in der historischen Mitte zurückgeblieben. Mit Verweis auf die Beliebtheit von Altbauten plädierte Müller dafür, man müsse vom Humboldtforum lernen, “der Anachronismus des Schlosses mit historischer Fassade und innen Stahlbeton ist nicht gelöst”. Auch die von Müller befragte künstliche Intelligenz chatGPT lieferte zwar sachliche Argumente für pro und contra, blieb aber eine eindeutige Antwort auf die Frage, ob “Schinkels Bauakademie in Berlin rekonstruiert und wieder aufgebaut werden [soll] oder nicht”, schuldig.

“Hier entscheidet sich nicht die Bauwende, mit der die Welt gerettet wird.”

Prof. Dr. Wolfgang Sonne (Geschichte und Theorie der Architektur an der Fakultät für Architektur und Bauingenieurswesen, TU Dortmund) fokussierte in seinem Vortrag “Langlebigkeit und Kreislauf. Die Bauakademie im Spannungsfeld der Diskussion um nachhaltiges Bauen” auf die kulturelle Nachhaltigkeit.

Lebenszyklus sei ein metaphorischer Begriff, führte Wolfgang Sonne in das Thema ein. Langlebigkeit und Dauerhaftigkeit könnten in der Architektur auf Materialität, Konstruktion, Funktion und Semantik bezogen werden. Kreislaufwirtschaft sei gegenüber Langlebigkeit und Dauerhaftigkeit als nachrangig zu betrachten – “Cradle to cradle is only the second best” konstatierte Sonne.

Unter diesem Blickwinkel sprach er sich für den Vorrang der kulturellen Nachhaltigkeit im Diskurs aus – für die kulturelle Wertschätzung der Bauakademie und deren Bedeutung für die Stadtgeschichte. Ihre Ästhetik sei zeitlos, ihre Schönheit weise über Generationen hinaus und ob man denn “keine neuen Gedanken in alten Gebäuden” entwickeln könne, hinterfragte er. Die Prinzipien der Nachhaltigkeit mit Blick auf die CO2-Bilanz seien zwar für die Masse der Bauten relevant, nicht für einen besonderen Bau wie die Bauakademie, so Sonne. Er resümmierte:

“Hier entscheidet sich nicht die Bauwende, mit der die Welt gerettet wird.” Aufgrund der kulturellen Bedeutung des Bauwerks für die Stadtgeschichte sprach sich Wolfgang Sonne für eine historische Rekonstruktion aus und schloss mit der Bemerkung, es gehe um das “Produkt Schinkels, nicht um die Institution”.

Die Referent*innen des Bauakademie-Symposiums im Februar 2023: Dr. Hans-Dieter Nägelke, Achim Wollschläger, Prof. Dr. Fritz Neumeyer, Ephraim Gothe, Prof. Dr. Peter Stephan, Julia Dahlhaus, Prof. Elisabeth Endres, Prof. Dipl.-Ing. Eike Roswag-Klinge, Dr. Ing. Christian Müller, Prof. Dr. Wolfgang Sonne (im Uhrzeigersinn; Fotos: Antje Bruno)
Die Referent*innen des Bauakademie-Symposiums im Februar 2023: Dr. Hans-Dieter Nägelke, Achim Wollschläger, Prof. Dr. Fritz Neumeyer, Ephraim Gothe, Prof. Dr. Peter Stephan, Julia Dahlhaus, Prof. Elisabeth Endres, Prof. Dipl.-Ing. Eike Roswag-Klinge, Dr. Ing. Christian Müller, Prof. Dr. Wolfgang Sonne (im Uhrzeigersinn; Fotos: Antje Bruno)

Über die Autorin

Antje Bruno hat viele Jahre als planende Architektin in Berlin gearbeitet bevor sie sich, qualifiziert durch einen Master am Center for Metropolitan Studies der TU Berlin, interdisziplinär forschend und schreibend urbanistischen Themen zugewendet hat. Als Botschafterin für zukunftsweisende Entwicklungen an der Schnittstelle von gebautem Raum und gesellschaftlicher Sphäre plädiert sie dafür, die große Transformation als Chance zu begreifen. Auf Quartiersebene setzt sie sich als urbane Praktikerin für mehr Nachhaltigkeit und positive Szenarien-Entwicklung ein, u. a. durch Zukunftsdialoge. Weitere Informationen: denkraumstadt.de

 

Fußnoten

1 Zitat in Anlehnung an Hartmut Rosa in der Dezemberausgabe 2022 des Magazin Futurzwei in einem Artikel über Veränderungen, Unsicherheiten und Aggression.

2 Im Juni 1991 hatten die Landesdenkmalpfleger der Bundesrepublik Deutschland auf Basis der Charta von Venedig eine Stellungnahme erlassen, die einen Nachbau verlorener Bauten als Geschichtsfälschung definiert. Die in Venedig 1964 verabschiedete Internationale Charta über die Konservierung und Restaurierung von Denkmälern und Bauwerken ist für die moderne Denkmalpflege grundlegend. Auf Grundlage der zentralen Forderung nach Authentizität von Bauwerken in Form von überlieferter materieller Substanz lehnt diese historisierende oder simulierende Rekonstruktionen ab.

3 Gründungsdirektor Guido Spars in der Pressemitteilung vom 19. Oktober 2022

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