Zweischaliges Mauerwerk macht Haustechnik überflüssig: Bürogebäude ohne Heizung und Klimaanlage

“Besonders nachhaltig” sollte die Hauptverwaltung der Heinrich Nabholz KG sein – und das wurde sie: Das fünfgeschossige Bürohaus in München-Gräfelfing realisierten die Planenden wegen der zu erzielenden hohen Wärmedämmung und Wärmespeicherung mit einer Gebäudehülle aus zweischaligem Ziegelmauerwerk.

Zum Einsatz kam der mineralisch gefüllte “Unipor Coriso”-Ziegel mit einer Gesamtdicke von 65 Zentimetern inklusive Putz und Mörtelfuge. Ganz ohne kostenintensive Haustechnik kann so eine ganzjährige Raumtemperatur von 22 bis 26 Grad Celsius erzielt und viel Energie gespart werden.

Nachhaltiger Büroneubau: Eine wärmetechnisch optimierte Gebäudehülle und eine durchdachte Innenraumkonzeption ersetzen in München-Gräfelfing die herkömmliche Heiz- und Klimatechnik (Foto: Heiko Stahl)
Nachhaltiger Büroneubau: Eine wärmetechnisch optimierte Gebäudehülle und eine durchdachte Innenraumkonzeption ersetzen in München-Gräfelfing die herkömmliche Heiz- und Klimatechnik (Foto: Heiko Stahl)
Die neuen Geschäftsräume in München-Gräfelfing umfassen insgesamt neun Büroeinheiten in unterschiedlichen Größen und Zuschnitten. Überströmelemente an den Wandscheiben prägen das Erscheinungsbild (Foto: Heiko Stahl)
Die neuen Geschäftsräume in München-Gräfelfing umfassen insgesamt neun Büroeinheiten in unterschiedlichen Größen und Zuschnitten. Überströmelemente an den Wandscheiben prägen das Erscheinungsbild (Foto: Heiko Stahl)
Zeitgemäße Arbeitsplätze: Alle Büros sind modern und funktional eingerichtet – so auch die Besprechungs- und Konferenzräume (Foto: Heiko Stahl)
Zeitgemäße Arbeitsplätze: Alle Büros sind modern und funktional eingerichtet – so auch die Besprechungs- und Konferenzräume (Foto: Heiko Stahl)

Kann man ohne Heizung bauen?

“Die Idee, beim Neubau ganz auf die Heiz- und Klimatechnik zu verzichten, ergab sich nach und nach im engen Austausch mit dem Auftraggeber – aus ökologischen und ökonomischen Gründen. Neben den hohen Anschaffungs- und Installationskosten hat auch der Wegfall der erheblichen Wartungskosten von Heiz- und Klimatechnik zu dieser Entscheidung beigetragen.”

Architekt Bernd-Simon Schwarz

Kompakter Gebäudekubus mit einem Höchstmaß an Energieeffizienz

Das rechteckige Gebäude (Außenmaß 52 x 15 m) besitzt insgesamt fünf oberirdische Geschosse. Das vierte Obergeschoss ist etwas zurückgesetzt, um Platz für eine Dachterrasse zu schaffen. Ebenfalls etwas zurückgesetzt ist der Erschließungskern mit Eingangsbereich, Treppenhaus, Aufzügen und Sanitäranlagen. Er verbindet den größeren südlichen Gebäudetrakt mit dem kleineren nördlichen Teil. Diese Struktur zieht sich vom Erdgeschoss aufwärts durch alle Geschosse.

Zusätzlich verfügt das Bürohaus über zwei Tiefgaragen mit insgesamt 68 Pkw-Stellplätzen. Die nutzbare Bürofläche verteilt sich derweil auf insgesamt neun Büroeinheiten, die in Größe und Zuschnitt der einzelnen Räumlichkeiten variieren und so unterschiedliche Nutzeransprüche erfüllen.

Das “Bürohaus 2226” in Lustenau / Vorarlberg als Inspiration

Der Verzicht auf die übliche Haustechnik erforderte vom Architekten bei der detaillierten Gebäudeplanung zwangsläufig eine veränderte Herangehensweise. Ein allzeit angenehmes Raumklima lässt sich nämlich auch mithilfe wärmetechnisch optimierter Außenwände und Decken sowie einer lüftungstechnisch durchdachten Innenraumkonzeption erzielen.

Neu ist diese Erkenntnis nicht. Schon Baumeister der Antike nutzten die dämmenden und speichernden Eigenschaften von Bauteilen zur Regulierung der Raumtemperatur. Entsprechend konsequent konzipierte Gebäude mit einem Minimum an Haustechnik werden aufgrund der wachsenden ökologischen und klimatischen Herausforderungen zukünftig wieder gefragt sein.

Ein 2013 erbautes Bürohaus im österreichischen Lustenau zeigt beispielhaft, wie die Auslassung von Heiz- und Klimatechnik unter anderem durch ein zweischaliges Ziegelaußenmauerwerk wirtschaftlich realisierbar ist. „Eine Besichtigung des Gebäudes mit dem kennzeichnenden Namen ‘Bürohaus 2226’ nach der einzuhaltenden Raumtemperatur von 22 bis 26 Grad Celsius weckte beim Bauherrn großes Interesse“, schildert der Architekt dessen begeisterte Reaktion. Für die Planung des Projekts der Nabholz KG wurde eng mit Herrn Dr. Widerin zusammengearbeitet, der das Konzept 2226 maßgeblich mitentwickelte. So konnte man von seinen Erfahrungen profitieren.

Freie Luftzirkulation durch steuerbare Fensterklappen

“Bei der Raumkonzeption gingen wir jedoch andere Wege,” betont Schwarz. “Rund 70 Prozent der Fläche wird künftig an Fremdnutzer vermietet. Daher wollten wir nicht nur Großraumbüros umsetzen, sondern auch abgeschlossene Büroeinheiten ermöglichen.” Eine wichtige Voraussetzung für das Gebäudekonzept war die Schaffung eines großen, zusammenhängenden Raumes mit freier Luftzirkulation sowie steuerbaren, motorisierten Fensterklappen, die eine ausreichende Frischluftzufuhr sicherstellen.

An den mittig im Gebäude angeordneten Wandscheiben wurden zudem Überströmelemente aus Holz eingebaut, sodass trotz Abtrennung von Büroräumen eine dauerhafte Querlüftung bei gleichzeitiger Schallreduzierung möglich ist. So kann man leicht kleinere Büroeinheiten schaffen und dabei trotzdem die Luftzirkulation gewährleisten. Sollte der Bereich dann doch als Großraumbüro genutzt werden, dienen diese Elemente aus Holz automatisch als prägendes Gestaltungselement des Innenraums.

Zweischalige Außenwand aus Unipor Coriso-Ziegeln – dämmstoffgefüllt

Angesichts der speziellen Anforderungen galt der Außenwandkonstruktion und ihrer Dimensionierung ein Hauptaugenmerk. Wie beim Bauwerk in Lustenau entschied man sich aufgrund der gleichermaßen guten wärmedämmenden wie speichernden Eigenschaften für ein zweischaliges Ziegelmauerwerk. Da sich jeder Zentimeter eingesparter Außenwanddicke in zusätzlicher Nutzfläche auszahlt, wird durch den Einsatz dämmstoffgefüllter “Unipor Coriso”-Ziegel die Dicke der Gebäudehülle minimiert.

Beim Lustenau-Gebäude beträgt die Stärke der Gebäudehülle noch 81,8 Zentimeter. Sie reduziert sich beim Münchener Projekt durch eine Außenschale aus 30 Zentimeter dicken “Unipor WS08 Coriso”-Ziegeln und einer ebenfalls 30 Zentimeter starken Innenschale aus “Unipor WS10 Coriso”-Ziegeln – zuzüglich trennender Mörtelfuge (1,5 Zentimeter), Kalkzementputz auf der Außen- und Kalkputz auf der Innenwand (2,0 bzw. 1,5 Zentimeter) – auf insgesamt 65 Zentimeter.

Ein weiterer wichtiger Faktor ist neben dem erreichten geringen Wärmedurchgangskoeffizienten (U-Wert) von 0,143 W/(m²K) auch die aufgrund des ausgeklügelten Lochbildes erzielte hohe Druckfestigkeit des Coriso-Ziegels. Die lastabtragende WS10-Innenschale gewährleistet durch eine Druckfestigkeit von 5 MN/m² (Festigkeitsklasse 12) auch bei fünf Geschossen eine sichere Tragfähigkeit der Außenwand.

Energetisch autark: Das Bürohaus in München-Gräfelfing hält dank seiner 65 Zentimeter dicken Ziegel-Außenwand die Raumtemperatur konstant zwischen 22 und 26 Grad Celsius – und zwar ohne zusätzliche Heizung oder Klimaanlage (Foto: Heiko Stahl)
Energetisch autark: Das Bürohaus in München-Gräfelfing hält dank seiner 65 Zentimeter dicken Ziegel-Außenwand die Raumtemperatur konstant zwischen 22 und 26 Grad Celsius – und zwar ohne zusätzliche Heizung oder Klimaanlage (Foto: Heiko Stahl)
Die fünf Obergeschosse des Bürogebäudes in München-Gräfelfing wurden aus zweischaligem Coriso-Ziegelmauerwerk von Leipfinger-Bader errichtet (Foto: Heiko Stahl)
Die fünf Obergeschosse des Bürogebäudes in München-Gräfelfing wurden aus zweischaligem Coriso-Ziegelmauerwerk von Leipfinger-Bader errichtet (Foto: Heiko Stahl)

Zum ökologischen Anspruch des Projektes passte auch die Auswahl des Wandbaustoff-Lieferanten. Hier entschieden sich Planer und Bauherr für die niederbayerischen Ziegelwerke Leipfinger-Bader (Vatersdorf), deren mineralisch gefüllte Coriso-Mauerziegel am Standort in Mainburg-Puttenhausen (Landkreis Kelheim) hergestellt werden. Diese regionale Nähe war beim Büroprojekt in München-Gräfelfing ein weiterer Pluspunkt in puncto Nachhaltigkeit, da die Baustoffe – anders als oft bei Holz – nicht aufwendig über Ländergrenzen hinweg transportiert werden müssen.

Überprüfung der Dämmung mit realitätsnahen Wärmebrückensimulationen

Die Projektverantwortlichen gaben beim Energieverbrauch den Effizienzhausstandard 55 für Nichtwohngebäude vor. Statt energiezehrender Heiztechnik werden zur Erwärmung der Büroräume ausschließlich natürliche Quellen wie Körperwärme oder ebenso technische Gegenstände wie Lampen und PCs genutzt. Ihre Abwärme wird in den massiven Ziegelwänden zwischengespeichert und zeitverzögert an den Innenraum abgegeben. Ähnliches gilt aufgrund ihrer hohen Speicherkapazität für die 24 Zentimeter dicken Stahlbeton-Fertigteildecken mit ihrer Sichtbetonunterseite. Sie wirken in den Sommermonaten wie ein Kältespeicher und tragen so ebenfalls zur angenehmen Raumtemperatur bei.

Der besondere Einfluss der Gebäudehülle auf das Raumklima erforderte zudem die Minimierung von Wärmebrücken. Deshalb wurden in allen relevanten Anschlussbereichen an die Außenwand, wie beispielsweise zwischen Fensteröffnungen und Mauerwerk sowie der Dachhautanbindung sehr effiziente Dämmlösungen verwirklicht. Ihre Wirksamkeit ließ sich durch überaus detaillierte und realitätsnahe Wärmebrückensimulationen rechnerisch überprüfen. Der Aufwand hat sich gelohnt: Unter Berücksichtigung aller zu erwartenden Wärmelasten konnte nachgewiesen werden, dass wie gewünscht eine ganzjährige Raumtemperatur von 22 bis 26 Grad Celsius erreicht wird.

Ungewöhnlich: Eine 65 Zentimeter dicke Ziegelwand sorgt im Gräfelfinger Bürogebäude für hohen Wärmeschutz. Sie besteht aus einer Außen- und einer Innenschale von jeweils 30 Zentimetern zuzüglich Mörtelfuge (Foto: Heiko Stahl)
Ungewöhnlich: Eine 65 Zentimeter dicke Ziegelwand sorgt im Gräfelfinger Bürogebäude für hohen Wärmeschutz. Sie besteht aus einer Außen- und einer Innenschale von jeweils 30 Zentimetern zuzüglich Mörtelfuge und Putz (Foto: Heiko Stahl)
Wirtschaftlich vorteilhaft: Der dämmstoffgefüllte Coriso-Mauerziegel lässt sich gut verarbeiten, sodass der Büro-Rohbau in München-Gräfelfing zügig entstehen konnte (Foto: Heiko Stahl)
Wirtschaftlich vorteilhaft: Der dämmstoffgefüllte Coriso-Mauerziegel lässt sich gut verarbeiten, sodass der Büro-Rohbau in München-Gräfelfing zügig entstehen konnte (Foto: Heiko Stahl)

PV-Module ermöglichen die Nutzung von erneuerbarer Energie im Gebäude

Der energiesparende Verzicht auf Heizung und Kühlung wird sinnvoll ergänzt durch die Nutzung regenerativer Energie. Dafür sind auf der Dachfläche Photovoltaik-Module mit einer Gesamtleistung von 60 Kilowatt Peak (kWp) vorgesehen. Sie sollen unter anderem 16 in den Parkdecks installierte Schnell-E-Ladesäulen direkt bedienen.

Architekt Bernd-Simon Schwarz hofft für die Zukunft, dass das Gräfelfinger Bürohaus zu einem Gesinnungswandel bei der Gebäudeplanung beiträgt: weg von der technischen Überfrachtung eines Bauwerks zurück zu möglichst wartungsfreien Gebäuden mit geringen Folgekosten.

Projektdaten und -beteiligte

  • Bauherr: Heinrich Nabholz KG, 82166 Gräfelfing
  • Planung: Schwarz Architekturbüro, Architekt M.A. (TUM) Bernd-Simon Schwarz, 90518 Altdorf bei Nürnberg
  • Generalunternehmer und Verarbeiter Rohbau: C+P Schlüsselfertiges Bauen GmbH & Co. KG, 35719 Angelburg
  • Grundstücksfläche: 1.500 m²
  • Nutzfläche: ca. 2.800 m²
  • Errechneter Jahresheizwärmebedarf: 46,8 kWh/m²a
  • Zweischalige Außenwand: Außenschale 30 cm „Unipor WS08 Coriso“-Ziegel, Innenschale 30 cm “Unipor WS10 Coriso”-Ziegel
  • Ziegelhersteller: Ziegelwerke Leipfinger-Bader GmbH, 84172 Vatersdorf, Mitgliedsunternehmen der Unipor-Ziegel-Gruppe
  • Bauzeit: Januar 2020 bis Oktober 2021
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