Pumpenhaus, Gemeindezentrum und Museum: Die Dachkult-Rooftop Talks #7 in Bochum mit Prof. André Habermann und Achim Pfeiffer
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Im November 2019 gastierte die Veranstaltungsreihe “Dachkult-Rooftop Talks” in Bochum. Im Pumpenhaus der Jahrhunderthalle stellten die Architekten Achim Pfeiffer (Architekturbüro Heinrich Böll, Essen) und Professor André Habermann (habermann.decker.architekten, Lemgo) verschiedene Steildach-Projekte Ihrer Büros vor. Die gut besuchte Abendveranstaltung stand unter dem Motto „Dach – Trans – Formation“.
Dachkult: Förderung der Baukultur mit geneigten Dächern
Wer oder was ist nochmal “Dachkult”? Kurz ein paar Worte zum Veranstalter der Rooftop-Talks: Über zwanzig führende Hersteller der deutschen und internationalen Baustoffindustrie haben sich in der Initiative “Dachkult” zusammengeschlossen. Sie verbindet das Interesse für Architektur, Handwerk und Handel im Bedachungsmarkt. Die Initiative richtet sich in erster Linie an Planer und Architekten sowie Hochschulen und Universitäten mit der Fachrichtung Architektur und Bauingenieurwesen.
Dachkult veranstaltet die “Rooftop Talks” und bespielt die Website dachkult.de. In den Sozialen Medien ist die Initiative auf Facebook, Instagram und Youtube aktiv. Seit einiger Zeit gibt es auch ein eigenes Dachkult-Magazin: stadt/land/dach (siehe Foto).
Ein “Heimspiel” für einen der Architekten: Er hat den Veranstaltungsort selbst umgebaut
Wie schon bei den Dachkult Rooftop Talks #6 (im September 2019 in Stuttgart), die ich auch als Blogger begleiten durfte, waren bei dieser 7. Ausgabe der Event-Reihe zwei Architekten aus der Region eingeladen, um Bauprojekte mit geneigten Dächern aus ihrem Werk vorzustellen.
Eine Art “Heimspiel” hatte Achim Pfeiffer (Architekturbüro Heinrich Böll, Essen): Er stellte nicht nur das Gemeindezentrum Altenessen vor, das er mit seinem Büro unweit vom Veranstaltungsort im Essener Norden realisiert hat, sondern auch den Veranstaltungsort selbst. 2012 baute sein Büro das Pumpenhaus zu Gastronomie und Besucherzentrum für die benachbarte “Jahrhunderthalle” um.
André Habermann, Mitinhaber des Büros habermann.decker.architekten in Lemgo und Professor für Entwerfen und Gebäudelehre an der Hochschule Bochum, stellte als zweiter Referent des Abends den Museumsbau am Peter-August-Böckstiegel-Haus in Werther vor.
In der anschliessenden Podiumsdiskussion sprachen die beiden Architekten mit Prof. Jan R. Krause (der auch als Moderator durch den Abend führte) und Klaus H. Niemann, Sprecher der Initiative über die Herausforderungen bei der Umsetzung der vorgestellten Projekte, aber auch über die Stellung des Entwurfsthemas “Geneigtes Dach” sowie über die Typologie(n) des Steildachs in der zeitgenössischen Architektur.
Dach – Trans – Formation: Regionale Dachtypologien vor dem Hintergrund gesellschaftlich-industrieller Transformationen
Mit seinen Hochöfen und der Schwerindustrie sowie den zeitgleich entstandenen Wohnsiedlungen hatte das Ruhrgebiet eine relativ homogene, regionaltypische Bebauung. Das Steildach dominierte, meist aus ganz praktischen Gründen. Auch Achim Pfeiffer wies gleich zu Anfang seines Vortrages auf diesen Umstand hin: Er zeigte eine historische Ansicht Bochums mit dem Stahlwerk des “Bochumer Vereins” und fragte provokativ in die Runde: “Sehen Sie hier irgendwo ein Flachdach?”
Der tiefgreifende Strukturwandel, der sich in Nordrhein-Westfalen seit mehr als drei Jahrzehnten vollzieht, hat auch einen baukulturellen Wandel zur Folge. Inzwischen ist aus einem Industrierevier eine der größten Wissenschafts- und Kreativregionen geworden. Ein Musterbeispiel für die Transformation der Region ist auch der Veranstaltungsort dieses Abends: Das Pumpenhaus an der Jahrhunderthalle in Bochum.
Architekturbüro Heinrich Böll: Umbau des Pumpenhauses in Bochum (2012)
Das erste vorgestellte Projekt des Abends illustriert die Transformation bei gleichzeitiger Wahrung der baukulturellen Identität sehr anschaulich: Wo früher die Industrie zuhause war, ist heute Platz für Event und Gastronomie. (Übrigens: Fotos und weitere Informationen zum Pumpenhaus finden Sie auf der Website des Büros.)
Zur Vorgeschichte: Die “Jahrhunderthalle” – einst Teil des Stahlwerks Bochumer Verein – wurde 2003 von Petzinka, Pink und Partner saniert und mit einem markanten Erweiterungsbau in Stahl und Glas ergänzt. Hier finden unterschiedlichste Veranstaltungen statt, von der winterlichen Eisbahn über Parteitage bis hin zu den Theateraufführungen.
Das nebenan gelegene Pumpenhaus beherbegte einst die zur Stahlherstellung erforderlichen Gebläse (Pumpen) und lag bis zu seiner Sanierung “im Dornröschenschlaf”, berichtete Achim Pfeiffer. Durch die Veranstaltungen der Ruhrtriennale 2011 entstand der Bedarf für eine Personalkantine und damit der Beschluss zum Umbau des historischen Gebäudes, einer offenen Halle mit einer Fassade aus ausgemauertem Stahlfachwerk.
Um den Innenraum mit seinen stählern Kranbahnen, den filigranen Dachbindern und Gebrauchsspuren aus vielen Jahrzehnten Industriekultur zu erhalten, entschieden sich die Architekten, dem Pumpenhaus “eine Klimahülle überzustülpen”. So konnten die Anforderungen an den Wärmeschutz erfüllt werden. Dadurch seien nun auch “Veranstaltungen an einem 18. November möglich” wie Pfeiffer augenzwinkernd bemerkte.
Der rechteckige Grundriss beeinhaltet das Besucherzentrum und die Gastronomie. Dazwischen trennt eine “Box” mit Sanitärbereichen die beiden Hauptnutzungsbereiche. “Die Reduktion auf das Einfache, das Urbild des Hauses” beschreibt Achim Pfeiffer die grundlegende Entwurfsidee für den Umbau. Dunkles Stahltrapezblech, teilweise perforiert, bildet die einheitliche Gebäudehülle, inkl. des sanft geneigten Daches.
Architekturbüro Heinrich Böll: Gemeindezentrum Altenessen, Essen (2017)
Auch beim zweiten Bau, den Achim Pfeiffer an diesem Abend vorstellte, handelt es sich um ein “Strukturwandelprojekt”. Der Transformationsprozess sei hier ein gesellschaftlicher, nämlich der “Rückzug aus den Kirchen”. Den von der Evangelischen Gemeinde ausgeschriebenen Wettbewerb für ein Gemeindehaus, das auch Nicht-Gemeindemitgliedern offensteht, gewann das Architekturbüro Heinrich Böll. Aufgrund der Weitläufigkeit des Grundstückes – “einer Brachfläche in unmittelbarer Nähe der Kirche” (Pfeiffer) – entschieden sich die Planer für eine ebenerdige, eingeschossige Bebauung: “Die Fläche ist ziemlich groß, da kann ein Solitär funktionieren”.
Fotos und weitere Informationen zum Gemeindezentrum Altenessen
Der Neubau wurde als dreiseitig gefasster Hof entworfen. Durch eine leichte Drehung des Grundrisses öffnet sich das nach Süden geöffnete Hofhaus zur Backsteinkirche aus dem 19. Jahrhundert. “Das Hofmotiv hat uns fasziniert, ein offenes Haus zu schaffen … die Gemeinde wollte ein einladendes Haus für Menschen aller Konfessionen.” berichtete Pfeiffer bei seinem Vortrag.
Neben der städtebaulichen Figur nimmt die Materialwahl ebenfalls Bezug auf die Kirche: Alle Aussenfassaden sind in rötlichem Backstein ausgeführt. Bei der Dachform entschieden sich die Planer für nach innen geneigtes, vierteiliges Pultdach, ausgeführt als Zinkdach. Die Dachneigung beträgt durchgehend elf Grad. Dass die Wahl auf ein geneigtes Dach fiel, begründete Pfeiffer so: “Ein Eingeschosser dieser Größe hat weniger Kraft, wenn wir ihn “flach” machen, als wenn wir diese Dachform in die Neigung bringen”. Das Pultdach liegt auf der Flurwand, der Aussenwand sowie auf filigranen Stützen im Hof auf. Durch die Metallstützen wurde auch die Entwässerung geführt, so konnten optisch störende Fallrohre vermieden werden.
Durch die Drehung des Grundrisses zur Kirche hin sei allerdings die Geometrie des Daches etwas komplexer geworden, erläuterte der Architekt: “Eigentlich ist ein ganz einfaches Pultdach, hätten wir den Hof nicht so gedreht – dann wäre das viel einfacher gewesen. Durch die entstehenden “Verschnitte” wurde es doch etwas komplizierter.”
Prof. André Habermann, Lemgo: Neubau “Museum Peter-August-Böckstiegel-Haus”, Werther
Das dritte Projekt des Abends präsentierte André Habermann. Er ist seit 1999 in Lemgo als Architekt selbständig tätig, seit 2018 führt er mit Christian Decker das Büro habermann.decker.architekten. Den Wettbewerb der Peter-August-Böckstiegel-Stiftung für das Museum gewann das Planungsbüro bereits 2014, fertiggestellt wurde der Neubau im Sommer 2018.
Böckstiegel war ein deutscher Maler im frühen 20. Jahrhundert (1889 – 1951). Im Mittelpunkt seiner Arbeiten steht die bäuerliche Lebenswelt seiner Heimat in Ostwestfalen. Auf dem Grundstück im Städtchen Werther, auf dem bereits das Geburtshaus des Malers als Ausstellungs- und Besucherzentrum diente, sollte mit überschaubarem Budget ein Neubau geschaffen werden, der Bezug nimmt auf die Landschaft und dem Werk des “westfälischen Expressionisten” gerecht wird.
Die Architekten entwarfen den Bau als einen Eingeschosser mit sanft geneigten Dachflächen. Durch die Fassaden aus Muschelkalk (ein lokales Material, Naturstein aus dem Teutoburger Wald), die in die Dachflächen übergehen, entsteht der Eindruck eines Felsbrockens in der Landschaft, das Motiv des Findlings. André Habermann: “Das Haus liegt als Stein inmitten einer wachsenden Wiese, so wie Böckstiegel beim Malen “knietief” in der Wiese gestanden hat”.
Fotos und weitere Informationen zum Museum auf der Website der Architekten
Je nach Standort des Betrachters wechselt der “Findling” seine äußere Form: Mal ist das Dach zu sehen, etwas weiter unten auf der Streuobstwiese sieht man nur noch die Einschnitte in die Fassaden und darüber die scharfkantigen Übergänge in die Dachflächen. Das Dach sollte ursprünglich “steinern überzogen” werden, eine Idee, die im Projektverlauf dann aus Kostengründen nicht realisiert werden konnte. Oberhalb der Muschelkalkflächen wurden die Dachflächen schliesslich mit farblich passenden Bitumenschweißbahnen belegt.
Schräg in die Fassaden “eingeschliffene” Öffnungen, deren Laibungen ebenfalls in Muschelkalk ausgeführt wurden, unterstützen die massige Wirkung des Baukörpers und nehmen Bezug auf wichtige Orte in der Umgebung des Museumsneubaus, so ermöglicht die Öffnung nach Norden den Blick auf das Geburtshaus weiter unten auf dem parkartigen Gelände.
Im Inneren sorgen die Einbauten, Fenster und Möbel aus regionalem Eichenholz in Kombination mit den sehr unterschiedlichen, polygonalen Untersichten der geneigten Dachflächen eine hochinteressante Raumwirkung. “Die Polygonalität macht das Haus innen groß, die Innenräume bekommen dadurch einen fast sakralen Charakter”, so Habermann.
In der nachfolgenden Diskussion mit Achim Pfeiffer, Prof. Jan R. Krause und Klaus H. Niemann erläuterte André Habermann die Entwicklung der Dachform für den Museumsbau in Werther: “Das ist eigentlich ein ganz gewöhnliches Walmdach”, so der Architekt. Nur sei das Walmdach nicht offensichtlich, und jeder habe eben eine andere Vorstellung von einem Walmdach, “aber es ist natürlich die Typologie eines Walmdachs”. Sein Büro habe es so verändert, dass es zumindest in zwei Richtungen symmetrisch ist. Auf diese Weise kamen die Planer mit drei verschiedenen Neigungen aus: sieben, neun und 30 Grad Neigung. Noch einmal Habermann: “Die Dachform reagiert auf die Fassade, deren Öffnungen als Negativ auf das Dach übertragen werden sollten.”
Ebenfalls ein wichtiges Diskussionsthema: Das Zusammenspiel zwischen Bauherr, Architekt, Hersteller und Verarbeiter.
In diesem Zusammenhang wies Klaus H. Niemann auf die Anstrengungen der Baustoffhersteller hin: “Die Industrie hat in den letzten Jahren stark in die Kompetenz ihrer Mitarbeiter investiert. Und alle Innovationen, die wir haben, sind dadurch entstanden, dass es ein gutes Miteinander gab zwischen Architekten und der Industrie.”
Eine Einschätzung, die sich mit der Wortmeldung eines Vertreters der Firma Rheinzink deckte. Er war bei der Realisierung des Zinkdaches beim Gemeindezentrum Altenessen involviert und berichtete vom regen Austausch zwischen Architekt, Bauherr und dem Hersteller: “Die Detailarbeit des Architekturbüros, die saubere Ausschreibung und ein guter Handwerker, der es korrekt berechnet und umgesetzt hat. Da kommt dann ein ansehnliches Ergebnis heraus!”
Dresden, Münster, Leipzig: Die nächsten Dachkult-Rooftop Talks
Die Reihe der Dachkult-Rooftop Talks wird auch 2020 fortgesetzt. Die nächsten Veranstaltungen finden in Dresden, Münster und Leipzig statt. Alle Termine und weitere Informationen finden Sie auf dachkult.de/events.