Digitalisierung im Holzbau, Nachverdichtung und Aufstockungen: Der Architekturkongress “LivingWOOD” auf der DACH+HOLZ International 2020
06.02.2020
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Auf dem Messegelände in Stuttgart fand vom 28. bis 30. Januar 2020 die DACH+HOLZ International statt. 52.000 Besucher aus 83 Ländern besuchten die Stände der über 600 Aussteller. Durch deren umfangreiches Angebot rund um Holzbau, Dach und Fassade ist die Messe nicht nur für Verarbeiter und Bauunternehmen, sondern auch für Architektinnen und Architekten ein wichtiger Termin geworden.
Besonders lohnend für Planerinnen und Planer war in diesem Jahr der zweite Messetag: Am 29.01.2020 wurde im Internationalen Congresscenter Stuttgart (ICS, am Eingang Ost der Messe Stuttgart) mit dem Architekturkongress “LivingWOOD” ein kompakter Überblick über den Stand der Dinge in Sachen “Holzbau” gegeben.
"Holz überzeugt nicht nur aufgrund seiner Materialeigenschaften, sondern auch aufgrund seiner flexiblen Einsatzmöglichkeiten"
Auf das Potential für Nachverdichtung – z. B. durch Lückenschliessungen in bestehenden Quartieren und Aufstockungen im Bestand – machte Peter Aicher (Vorsitzender von Holzbau Deutschland) bei seiner Eröffnungsansprache aufmerksam. Hier sieht er die Möglichkeiten in den deutschen Städten und Gemeinden noch lange nicht ausgeschöpft.
Der Holzbau sei aufgrund seiner Flexibilität und Präzision der Holzbau(fertig)teile besonders für die Aufstockung von Bestandsbauten geeignet. Auch weil Holzbauteile leichter sind als andere Baustoffe, sind damit Aufstockungen auch bei geringerer Tragfähigkeit der darunterliegenden Gebäudesubstanz realisierbar. “Holz überzeugt nicht nur aufgrund seiner Materialeigenschaften, sondern auch aufgrund seiner flexiblen Einsatzmöglichkeiten” so Aicher.
Das Vortragsprogramm des Architekturkongress LivingWOOD
Inhaltlicher Schwerpunkt des Kongresses waren Vorträge über Bauprojekte und Forschungsergebnisse aus Baden-Württemberg. Was mir persönlich gut gefallen hat: Dass hier nicht nur Architekten zu Architekten sprachen, sondern die Vorträge und Berichte auch von Tragwerksplanern, Bauunternehmern und Forschern kamen.
Ausgerichtet wurde der Event vom Messeveranstalter GHM zusammen mit Initiativen wie Baukultur Baden-Württemberg, proHolzBW, Triple Wood, dem Landesministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau, dem Landesministerium für den ländlichen Raum und Verbraucherschutz und weiteren Partnern.
Ministerpräsident Winfried Kretschmann nahm als Schirmherr der DACH+HOLZ International 2020 ebenfalls am Architektenkongress teil – sein Vortrag war ein Highlight der Veranstaltung. Doch dazu später mehr.
Neubau der Landesanstalt für Bienenkunde, Stuttgart-Hohenheim
Im April 2016 gewannen Lanz · Schwager Architekten BDA aus Konstanz den Wettbewerb (bzw. genauer: Das VOF-Verfahren) für den Neubau der Landesanstalt für Bienenkunde an der Universität Hohenheim. Architekt Nicholas Schwager und Gordian Kley vom Ingenieurbüro merz kley partner aus Dornbirn stellten das Holzbau-Projekt vor. Es befindet sich momentan in der (Aus-)Bauphase, die Fertigstellung ist für 2020 geplant, das Richtfest konnte kürzlich schon gefeiert werden, mit Honigwein, wie Gordon Kley schmunzelnd erzählte.
Das Institut für Bienenkunde erforscht Grundlagen, um aktuelle Probleme der Bienenhaltung zu lösen – und ist als angewandte Bienenforschungseinrichtung an einer Universität einzigartig in Deutschland. Auch in Sachen Holzbau ist das Institut ein Novum: Laut Nicholas Schwager handelt es sich um das erste Laborgebäude in Holz-(Hybrid)Bauweise in Baden-Württemberg.
Der Neubau mit ca. 1.100 m² Nutzfläche und den Aussenmaßen 60 x 18 m erhält Labore, Seminarräume (z. B. für die Fortbildung von Imkern) und einen Werkstattbereich. Der Gebäudekern und ein Treppenhaus werden als Massivbau in Stahlbeton ausgeführt. Tragwerk, Fassade und Innenwände bestehen überwiegend aus Holz. Das Flachdach wird großflächig begrünt und mit Photovoltaikmodulen belegt, der auf dem Dach erzeugte Strom soll vollständig im Gebäude verbraucht werden.
Tragwerksplaner Gordian Kley erläuterte in seinem Vortragsteil u. a. die Holz-Hybrid-Konstruktion mit den Einfachstützen aus Brettschichtholz, Längsunterzügen aus Brettschichtholz und teilweise – in den stark beanspruchten Achsen, wo die Konstruktion 3,50 m auskragt – aus BauBuche. Die Decken zwischen den Geschossen (bis zu 6,70 m Spannweite) haben die Planer mit Holz-Beton-Verbunddecken ausgeführt. Die Dachkonstruktion wurde aus BauBuche mit aufgelegten Brettsperrholzplatten realisiert.
Einen wichtigen Anstoss zur Nachhaltigkeit im Holzbau gab Gordian Kley ebenfalls: Mit Blick auf sein Baustellenfoto mit den zum Witterungsschutz sorgfältig in Kunststoff eingeschweissten Holzbauteilen (“Das sieht ja aus wie auf dem Mond!”) regte er an, dass man in der Branche doch mal über eine “Mehrfachverwendung der Folien” nachdenken solle. Sehr gut!
Das "Buggie" in Freiburg: Ein mehrgeschossiger Holzbau als neuer Anziehungspunkt im Quartier
Die Nahversorgung in einem relativ uncharmanten Wohngebiet am Stadtrand von Freiburg zu verbessern und ein attraktives Zentrum für den Stadtteil Weingarten-West zu schaffen, waren die städtebaulichen Ziele des Projektes “Buggie” von Weissenrieder Architekten – ein mehrgeschossiges Wohn- und Geschäftshaus in der namensgebenden Bugginger Straße.
Architekt Jochen Weissenrieder erläuterte in seinem Projektvortrag die Planung des Holzbau-Ensembles, das zur Zeit realisiert wird. Momentan laufen die Tiefbauarbeiten, dann wird betoniert (Kellergeschoss und die “Ebene 0” sind in Massivbauweise geplant), darüber wird das Projekt komplett (!) in Holzbauweise ausgeführt. Es war spannend zu hören, wie innovativ und findig die Freiburger Architekten vor dem Hintergrund der aktuellen rechtlichen Situation die Genehmigung für ihr Projekt erwirken konnten.
Ein Tipp von Weissenrieder an die Architekten-Kollegen: Bei Holzbau-Projekten frühzeitig in die Kommunikation mit der Bauaufsichtsbehörde einzutreten – und den Dialog auch “unbedingt einfordern”, um spätere Probleme und Zeitverluste im Projektverlauf zu vermeiden. Ebenso wichtig – neben der Auswahl einer guten Holzbau-Firma – ist aus seiner Sicht ein qualifiziertes Planungsteam, denn “nur Leute mit Holzbau-Erfahrung können schon in der Konzeptionsphase Probleme erkennen”.
Im Erdgeschoss des bis zu acht Geschosse hohen Wohn- und Geschäftshaus befindet sich ein Supermarkt, im ersten Obergeschoss ist ein Kindergarten geplant, der die begrünte Dachfläche des Supermarktes als Spielplatz nutzen kann. Darüber werden Wohnungen gebaut, u. a. für Studierende. Mit 21,90 m bleibt der Bau knapp unter der Hochhausgrenze und in der Gebäudeklasse 5.
Ein interessantes organisatorisches Detail: Weil oberirdisch nicht genug Fahrradstellplätze nachgewiesen werden konnten (ein wichtiges Thema in Freiburg), haben die Architekten ein Fahrradrampe geplant, über die Besucher und Bewohner ihre Räder bequem zu den Abstellflächen ins Untergeschoss bringen können.
Weitere Informationen und Renderings des Projekts finden Sie auf der Büro-Website von Weissenrieder Architekten BDA.
Lösungen für Wohnungsnot: Wie eine Wohnungsbaugesellschaft im Bestand nachverdichtet
Einen kaufmännischen Blick auf den Holzbau brachte Hagen Schröter, Geschäftsführer der Esslinger Wohnungsbau GmbH (EWB) in den Architekturkongress ein. Mit dem Zitat von Franz Kafka “Wege entstehen dadurch, dass man sie geht” begann der Immobilienexperte seinen Projektvortrag, in dem er die für sein Unternehmen neue Holzbauweise am Beispiel von zwei Pilotprojekten in Esslingen vorstellte.
Zunächst präsentierte Schröter die Aufstockung und Sanierung von Mehrfamilienhäusern in der Weilstraße, Esslingen-Pliensauvorstadt (2016-2019). Dabei wurden in vier Bauabschnitten (à 10 Monate Bauzeit, einer pro Jahr) vier viergeschossige Häuser mit insgesamt ca. 90 Wohneinheiten in Holzbauweise aufgestockt – im bewohnten Zustand, d. h. es mussten keine Umsetzwohnungen für die Bestandsmieter angeboten werden. Pro Gebäude entstanden dabei vier zusätzliche Wohneinheiten. Vorteil für die Mieter: Da die Aufstockung nur als “Nichtvollgeschoss” möglich war, wurden die Restflächen auf den bisherigen Dächern als großzügige Dachterrassen ausgeführt.
Die Vorteile der Aufstockung in Holzbauweise aus Sicht von Hagen Schröter: Konstruktive Vorteile (Statik der Bestandsgebäude), Zeitersparnis und relativ geringe Belastungen für die Bestandsmieter. Geplant und realisiert wurden die Aufstockungen vom Architekturbüro lpundh aus Kircheim/Teck, auf dessen Büro-Website finden Sie weitere Informationen zum Projekt.
Ein weiteres Pilotprojekt der EWB: Im Esslinger Stadtteil Hohenkreuz (“Am Schönen Rain” :-) hat das halbkommunale Immobilienunternehmen in Zusammenarbeit mit Müller Benzing Partner Architekten fünf Mehrfamilienhäuser in Holz-Hybrid-Bauweise realisiert. Auf einer Art “Restgrundstück” neben einem Bestandsgebäude der EWB entstand zunächst ein erster Bau als Muster, nach dessen Vorbild dann vier weitere Wohnhäuser als Modulhäuser in serieller Vorfertigung produziert und montiert wurden.
Digitalisierung im Holzbau: Planen > Vorfertigen > Montieren
“Vorfertigung und Montage” sowie das serielle Bauen waren ebenfalls Thema im Vortrag von Gerd Prause, Geschäftsführer von Prause Holzbauplanung in Lindlar (NRW). Unter dem Titel “Digitalisierung im Holzbau” warf der Zimmerermeister auch einen Blick zurück, als in den 1990er Jahren erstmalig computergestützt geplant und produziert wurde. “Der Holzbau arbeitet schon seit Jahrzehnten in 3D!” betonte Prause.
Heute sind das digitale Aufmaß, die Holzbauplanung am 3D-Modell sowie automatisierter Zuschnitt und Fertigung der Bauteile aus dem Holzbau nicht mehr wegzudenken. Gerd Prause erläuterte anschaulich den geregelten Datenaustausch über Projektplattformen in der Cloud sowie die Rollen- und Aufgabenverteilung im Planungsprodzess mit BIM zwischen allen am Bau beteiligten und unter zentraler Koordination durch einen BIM-Manager bzw. einen BIM-Koordinator. Doch die Digitalisierung geht noch weiter: Auch Sensoren, RFID und QR-Codes werden zukünftig im Lebenszyklus eines Gebäudes eine wichtige Rolle spielen.
Brandschutz im Holzbau: "Der Holzbau ist – bei richtiger Ausführung – sicher"
Professor Ludger Dederich – gelernter Zimmerer und Architekt – leitet den Masterstudiengang Holzbau an der Hochschule für Forstwirtschaft in Rottenburg. Eines seiner Forschungsthemen ist das Brandverhalten von Holzbauteilen.
In seinem Impulsvortrag gab er Einblicke in die Erarbeitung der Holzbau-Richtlinie Baden-Württemberg, einem Forschungsprojekt zur Standardisierung der Holzverwendung auch in großen, mehrgeschossigen Bauten. Er ist überzeugt, dass der Baustoff Holz die modernen Anforderungen an den Brandschutz erfüllt: “Der Holzbau ist – bei richtiger Ausführung – sicher”
Absturzsicherheit muss schon in der Planungsphase mitgedacht werden: "Auch die Architekten sind hier gefragt"
Trotz aller Digitalisierung und vielen Vorschriften sind die Unfallgefahren, die auf Baustellen bestehen, nach wie vor hoch, besonders in großer Höhe. Darauf wies Prof. Dr. Marco Einhaus von der Berufsgenossenschaft BAU in seinem Impulsvortrag zum Arbeitsschutz hin.
Abstürze seien die häufigste Ursache für tödliche Arbeitsunfälle am Bau, so Einhaus, darum “muss dieses Thema schon in der Planungs- und Bauphase mitgedacht werden.” Auch die Architekten seien hier gefragt, appellierte der Arbeitsschutz-Experte an das Publikum beim Architekturkongress.
„Wir kommen jetzt aus dem Prototypen-Bereich heraus“ (Andreas Hofer, IBA 2027, Stuttgart)
Die Podiumsdiskussion „Urbane Entwicklungsräume“ beim Architekturkongress LivingWOOD hatte ein illustres und vielfältiges Teilnehmerfeld: Zur Einführung sprach Dipl.-Ing. Irene Prieler, Architektin und Holzbau-Expertin aus Linz (u. a. ausgezeichnet mit dem Holzbaupreis Oberösterreich 2009 und Staatspreis für Architektur und Nachhaltigkeit 2013 in Österreich).
Die Teilnehmer der Diskussion, neben Prieler auch Prof. Dipl.-Ing. Tatjana Vautz (vautz mang architekten BDA) und Andreas Hofer, dipl. Architekt ETH, Intendant der Internationalen Bauausstellung 2027 StadtRegion Stuttgart (IBA’27). Neben diesen drei Vertretern aus dem “Architekten-Lager” nahmen auch Prof. Dr.-Ing. Marco Einhaus (siehe oben), der Bürgermeister Jürgen Stukle (Gemeinde Frickingen, Gewinnerin des kommunalen Landeswettbewerbs HolzProKlima für nachhaltiges Bauen) sowie Daniel Schaible (Holzbau Schaible GmbH, Wildberg-Schönbronn) an dem interdisziplinären Meinungsaustausch teil.
Doch dieses prominente und diverse “Line-up” hätte eigentlich eine eigene Abendveranstaltung verdient gehabt. In der Kürze der Zeit (der nachfolgende Vortrag des Ministerpräsident stand fix im Programm) waren leider nur wenige Diskussionsbeiträge möglich, die man gerne ausdiskutiert gehört hätte.
Einigkeit herrschte für mein Empfinden zu Andreas Hofers Aussage „Wir kommen jetzt aus dem Prototypen-Bereich heraus“. Er sieht den Holzbau der Experimentierphase entwachsen.
Etwas kontroverser wurde es beim Thema “digitales 3D-Modell” in der Planung und Vorfertigung. Hier deuteten sich unterschiedliche Sichtweisen an – bei der Architektenschaft auf dem Podium einerseits und auf Seiten der Verarbeiter bzw. Bauunternehmen andererseits. Auch die Aussage Hofers, dass die Nachverdichtung auch Probleme in den Innenstädten mit sich bringt, wäre es wert, an anderer Stelle ausführlich weiterdiskutiert zu werden.
"Der uralte Baustoff Holz bringt so neues Leben in die Städte" (Winfried Kretschmann)
“Holzhäuser sind wie ein zweiter Wald in der Stadt” befand der baden-württembergische Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann in seinem Vortrag zum Abschluss des Architekturkongresses auf der DACH+HOLZ 2020. Er zeigte sich als großer Fan der klimafreundlichen Bauweise und verband ins seiner bildreichen Sprache – ganz grüner Landesvater – Tradition und Moderne: “Der uralte Baustoff Holz bringt neues Leben in die Städte”.
Als Schirmherr der DACH+HOLZ lobte er diese “als bedeutende internationale Messe, auf der alle wichtigen Akteure der Holzbaubranche vertreten sind, eine optimale Plattform für eine Präsentation der Holzbau-Offensive Baden-Württemberg. Hier können die Fachbesucher wertvolle Kontakte knüpfen und sich zu aktuellen Entwicklungen und Innovationen im Bereich klimafreundliches Bauen mit Holz austauschen.”
Kretschmann betonte des Potential des Holzbaus für und in Baden-Württemberg, das auch dank einer recht holzbaufreundlichen Landesbauordnung inzwischen als eine der führenden Holzbauregionen Europas gilt.
Dass dem Ländle der Rohstoff für die vielen schönen Holzbauten ausgehen könnte, ist laut Kretschmann nicht zu befürchten. Alle drei Minuten wachse in Baden-Württemberg das Holz für ein Einfamilienhaus. Und am Ende seiner kurzweiligen Rede scherzte ein gut gelaunter Ministerpräsident, in den 20 Minuten seines Vortrags sei das Holz für ca. sieben Einfamilienhäuser nachgewachsen.
Impressionen aus den Messehallen der DACH+HOLZ International 2020
Übrigens: Die DACH+HOLZ International findet alle zwei Jahre statt, immer im Wechsel in Köln und in Stuttgart. Der nächste Termin steht schon fest: Vom 15. bis 18.02.2022 gastiert die Messe in Köln. Weitere Informationen »